Lange schon ging der farbenfrohe Tag in eine klare, kalt Winternacht über. In der eisigen Schneelandschaft ist Ruhe eingekehrt.
Nur leise weht der Nordwind in geisterhaftem Singen über die Ebene - sonst Stille.
Weit in der Ferne steht ein einzelner Baum. Er ist alt. Bald so alt, wie dieser Tag es ist. Ein einzelner Baum - doch nicht allein! Unter ihm steht ein Mensch, auch er ist alt. Doch das Kind, dessen Hand er hält, es ist jung. Jung wie der Neuschnee, der gefallen ist. Die beiden stehen da und schauen. Sie reden nicht. Sie haben auch nicht kalt. Sie stehen nur da und blicken in den sternenklaren Himmel. Wieviel Zeit mag wohl vergangen sein? Ob der Morgen schon naht? Es berührt sie nicht.
Doch da! Ein Stern, er leuchtet viel heller, viel klarar als alle anderen! Er dreht sich, schnell, schneller, immer schneller. Er löst sich vom Firmament und fällt weit in die Tiefe der dunklen Nacht - und erlischt. Das Kind drückt die Hand fester und spricht in hauchendem Ton: "Was ist geschehen? Ein Licht stürzt in die Dunkelheit! Viel dunkler ist es jetzt!"
Der alte Mund des Menschen öffnet sich, und die rauhen Lippen formen jedes Wort langsam und deutlich. Die Stimme, kräftig und fein zugleich: "Der Himmel ist Spiegel dieser Welt, der weisse Strasse der Weg, den das Leben sich bahnt. Die Sterne gleichen den Menschen; einige stehen in grossen Gruppen, manche in kleinen und einzelne - allein. Diese leuchten hell, jene sind kaum zu sehen. Einer ist gross, ein anderer klein, und manche erlöschen, wie dieser, welcher zuvor zur Erde fiel. Jedes Licht muss die Gelegenheit haben zu leuchten so langes es kann und es ihm bestimmt ist. ein Stern darf nicht versuchen mit seinem Licht einen anderen zu erlöschen. Das darf niemals geschehen. Denn der wird verscuhen, heller zu leuchten als ihm möglich ist und sich daran erschöpfen und untergehen. Und dann, wenn das letzte Licht erlöscht ist, wird es sehr dunkle und kalt werden auf dieser Welt. Viel dunkler als jede Nacht und kälter als jeder Winter.
Doch es ist bereits geschehen, und das Unvermeidbare wird eintreffen. Ein Stern nach dem anderen wird erlöschen und auch der grösste Stern, unsere Sonne, wird verglühen".
Die Lippen schliessen sich, und das Kind blickt mit angstvollen Augen zu den Sternen empor. Für kurze Zeit ist alles still.
Nur leise weht der Nordwind in geisterhaftem Singen über die Ebene - sonst Stille.
Dann öffnen sich die Lippen wieder, die trockene Zunge stösst gegen die schäbigen Zähne, um den ersten Laut zu formen: "Du brauchst Dich nicht zu ängstigen, mein Kind, denn was stirbt, ist nicht zu Ende, es ist tod und leben zugleich. Dieser Baum hier wird sterben , doch im Frühjahr wir eine neuer an seiner statt wachsen, reifen - und sterben. Denn nur was reift und stirbt wird Frucht bringen. -- Hoffen wir, die Frucht dieser Welt wird gut! --
So bist auch Du die Frucht der Menschheit und meine Frucht. Ich werde wohl sterben, aber niemals werde ich tod sein!"
Nach einer Atempause erhellt sich die Stimme und sagt: "Hör zu! Hörst Du den Wind? Den eisigen Nordwind? Den Tod? Er singt das Lied des Lebens". Wieder kehrt Stille ein.
Nur leise weht der Nordwind in geisterhaftem Singen über die Ebene - sonst Stille.