I.
Vor viele Jahren, zur Zeit der tapferen Krieger und Nomadenkönige, lebte einst im fernen Land der junge Prinz Djamu. Der war stolz und schön anzusehen.Als er wieder einmal mit seinen Vasallen umherzog, um die Bergregionen seines väterlichen Reiches zu erkunden, drang er soweit vor, dass er das Land jenseits der Berge erreichte. Auf einer kleinen Anhöhe hielten er und seine Männer Rast und blickten auf die grüne Ebene, die sich vor ihnen auftat. Ein breiter Strom floss mitten durch sie hindurch, und sein Wasser glänzte wie Gold. Überall sangen fremdartige Vögel die wundersamsten Lieder und es roch von Honig, Heilkräutern und Jasmin. Die Bäume in diesem Land wuchsen so hoch, dass sie
den Himmel erreichen konnten, und im Tau ihrer Blätter las man die Weisheit aus vergangen und kommenden Zeiten. Die Männer waren betört von all der Schönheit dieses Landes, obschon sie sich auch ein wenig wunderten, warum es in solch einem fruchtbaren Land keine Dörfer und Städte gab. Ja, kein einziger Mensch war zu sehen.
So blieben sie noch eine Weile dort, und jeder träumte seinen Traum vom Paradies. Doch Djamu war kein Träumer. „Wenn das Paradies mir schon zu Füssen liegt, dann will ich es auch einnehmen. Ich will hinabsteigen und eine Burg bauen,“ so sprach er zu seinen Männern „ Was lebt mein Vater im kargen Land der Berge, wo das Leben so beschwerlich ist, wenn dies lieblich Land doch so nahe ?“ Und in seinem jugendlichen Übermut galoppierte er auf seiner kräftigen Fuchsstute in die Ebene hinab. Seine Vasallen zogen es vor auf der Anhöhe zu warten, denn sie fürchteten sich vor dem wundersamen Land.
Unten angekommen sprang Djamu vom Pferd. Doch kaum hatte er auch nur einen Fuss auf das feuchte Gras gesetzt, da stellte sich ihm eine Frau in den Weg. Sie war wunderschön, mit Augen so blau wie der nächtliche Himmel, aus dem tausend Sterne funkeln. Ihr langes schwarzes Haar floss ihr wie Seide über die Schultern und wehte um ihre zarten Hüften. Sie hatte sich eine kleine Tasche aus Hirschleder umgehängt und hielt den abgeknickten Ast einer Erle in der Hand. „ He, wer bist ?“ fuhr Djamu sie an, sichtlich erbost, dass diese freche
Person es wagte, ihm dem Prinzen den Weg zu versperren. „Ich bin Kir-Al-Med und die Herrscherin dieses Landes. Solltest du versucht sein, hier einzudringen, werde ich dein Blut erstarren lassen wie Wasser, das zu Eis gefriert und du wirst sterben,“ so sprach die Schöne. Doch Djamu war nicht sehr beeindruckt, denn er wollte dieses Land unbedingt besitzen. Er holte aus mit seinem Schwert und sagte :“ Nichts von alledem wird sein, wenn ich dich zuerst töte.“ Doch Kir-Al -Med kam ihm zuvor. Sie hatte den Erlstab in ein Schwert verwandelt
und schlug den Prinzen damit der Länge nach in zwei Teile, wobei sich seine Linke sofort in eine Perle verwandelte. Sie legte diese in einen Kelch aus rotem Glas und sprach: „Weil Du Mut bewiesen hast, werde ich dich nicht vernichten. Aber fortan musst du als halber Mensch durch die Welt gehen und wirst mein Land nie wieder zu Gesicht bekommen, so lange bis du diesen Kelch, in dem ich das leben zurückhalte, wiederfindest und die Perle zurückgewinnst,“ mit diesen Worten verwandelte sie sich in eine Krähe und flog zur Sonne. Im selben Augenblick wurde das Wasser des Stromes zu schwarzem Gestein, die Bäume verbrannten, bis nur noch ihre Asche übrig blieb und alle Vögel flogen davon in die Ferne. Die ganze Ebene war nur noch eine trostlose Wüste.
Der Prinz fiel in eine tiefe Ohnmacht und erwachte erst wieder im königlichen Zelt seines Vaters, wohin ihn seine Soldaten getragen hatten. Er lag da, zwischen bunten Kissen aus Seide, und versuchte, während er langsam sein Bewusstsein wiedererlangte, die Geschehnisse des vergangenen Tages zu ordnen. Zuerst meinte er, er hätte
nur schlecht geträumt und versuchte sich von seinem Lager zu erheben. Doch hart fiel er zu Boden. Denn er hatte nur ein Bein, um zu stehen und nur einen Arm, um sich zu stützen. Da wusste er, dass dies alles wirklich geschehen war, und dass er dies sonderbare Land wahrhaftig gesehen hatte.
Ganz heiss wurde ihm vor Aufregung, und ungeduldig rief er nach seinem Vater, um ihm von dem Land jenseits der Berge zu berichten. Dieser wunderte sich gar nicht über den seltsamen Bericht seines Sohnes. Und die
stechenden Augen des Vaters nahmen auf einmal einen sehnsüchtig traurigen Blick an. Aber vielleicht erschien es demSohnauch nur so, im spärlichen Licht der Öllampe. Gedankenversunken nickte der König, und langsam begann er zu sprechen: „Ja, dieses Land gibt es wirklich. Auch ich war schon dort. Doch ein böses Weib, eine Hexe haust darin. Ihre Haare sind wie Schlangen und sie hat grosse Reisszähne. Man sagt, dass sie jeden Mann
frisst, der sich ihr nähert. Von Zeit zu Zeit kann man die Geier über den Bergen kreisen sehen, wie sie darauf warten, die Üeberreste der tapferen, die sich doch vorwagte, zu fressen. Oh, es ist ein Elend ! Wir schickten sogar unsere Frauen und Töchter, weil wir dachten, dass die Hexe ihnen milder gesinnt wäre. Doch die einen kehrten nie mehr zurück, und die anderen behaupteten, dass es gar kein Land jenseits der Berge gäbe. Als ich selbst der Hexe gegenüberstand, erstarrte mein Herz zu Stein, denn ich fürchtete mich, und ich rannte so schnell mich meine Beine trugen nach Hause. Seither ziehe ich es vor, hier in den Bergen zu leben und habe nie mehr einen Blick nach drüben geworfen.“ Djamu war ganz erstaunt über die Rede seines Vaters. Hatte er nicht eine wunderschöne Gestalt gesehen ? Diese Frau glich in keiner Weise seines Vaters Beschreibung. Sie hatte ihn auch nicht gefressen. Doch was war nun aus ihm geworden ? Ein halber Mann, der nicht einmal mehr auf seinen beiden Beinen stehen konnte. Eine Hexe war sie gewiss. Ja, und böse musste sie wohl auch sein, wenn sie es fertig brachte, ihm solches Leid anzutun. Lange noch bewegte er viele verwirrende Gedanken in seinem Herzen.
Doch dann fasste er einen Entschluss, er würde sich nicht so schnell geschlagen geben, er wollte wieder ein ganzer Mann sein und das Reich von Kir-Al-Med wollte er dazu. „Vater, gib mir mein Pferd und mein Schwert !
Ich will losziehen um meine andere Hälfte zu finden, und ich will dieses Land besitzen,“ sprach Djamu und erzählte seinem Vater den Rest von seiner Geschichte. Unterdessen hatte ein Diener das Pferd gesattelt und das Schwert herbeigeholt. Der Vater, der trotz ärgster Befürchtungen einsehen musste, dass er seinen Sohn nicht würde aufhalten können, holte aus einer alten Truhe eine kleine goldene Vase und überreichte sie seinem Sohn
mit den Worten: „Das sind die Tränen, die ich geweint habe, und vermischt habe ich sie mit dem Blut meines Herzens, um Dir ein reines Öl zu bereiten, das dir einmal auf deinem Wege dienlich sein könnte.“ Djamu äusserte seinen tiefen Dank , verabschiedete sich von seinem Vater und ritt hinaus in die Nacht.
II.
Die ganze Nacht hindurch ritt der junge Prinz durch die Berge. Er war ganz allein auf sich gestellt, denn keiner hatte es gewagt mit ihm zu reiten. Er war müde und wusste nicht welche Richtung er einschlagen sollte. Als es langsam anfing zu tagen, da begegnete er einem jungen Hirtenmädchen mit einer Laterne in der Hand. Diese fragte ihn, wohin er wolle, und er erzählte ihr seine Geschichte. Sie lächelte und sagte : „Nun, ich kenne dieses Land, von dem du mir erzählst. Du musst dorthin zurückkehren, wenn du die Perle wieder finden willst. Es istdas Land der grossen Dame.“ „Du meinst die böse Hexe Kir-Al-Med“, ergänzte Djamu. Da lächelte das Mädchen: „Wer hat dir gesagt, dass sie eine böse Hexe ist ? Sie ist nicht böse. Sie ist nur einsam. Vor vielen Zeitaltern war das Land jenseits der Berge ein fruchtbares Reich, in dem alle Wesen in Frieden miteinander lebten, und niemand litt Mangel. Die Menschen lebten alle zusammen wie in einer Grossen Familie.
Doch Dann war der Grosse Herr, der Gemahl von Kir Al Med, nicht mehr zufrieden. Es erschien ihm zu anstrengend alles mit seiner Gemahlin und den anderen Wesen des Landes zu besprechen. Vor allem aber wollte er nicht immer alles teilen. Deswegen bekam er mit der grossen Dame streit. Er sagte ihr, dass er alles besser machen würde, wenn er nur alleine regieren könnte. Kir versuchte ihn davor zu warnen, dass alles aus dem Gleichgewicht geriete, wenn einer alles alleine bestimmen wollte. Doch sie konnte es ihm nicht verbieten.
Schliesslich herrschten sie ja gemeinsam. Sie erklärte sich mit seinem Vorschlag Alleinherrscher zu werden also einverstanden, unter der Bedingung, dass das Land jenseits der Berge ihr allein gehören würde. Er bekämme all die anderen teile der Welt. Seither war es für die Menschen gefährlich geworden, das Land jenseits der Berge zu besuchen. Denn es ist ein freies Land. All jenen, die es für sich in Anspruch nehmen, verwandelt Kir das Herz
aus Blut in ein Herz aus Eis. Wenn ihre Herzen kalt sind, werden sie daran sterben. Möchtest du es dennoch versuchen, Djamu ?“ Erschrocken zuckte Djamu zusammen, denn er hatte seinen Namen noch nicht genannt.
Vielleicht könnte er sich wenigstens in diesem schönen Lande niederlassen, wenn es schon unmöglich sein sollte, es zu besitzen. Ausserdem musste er ja noch seine andere Hälfte wiederfinden, die ja immer noch in dem Kelch gefangen war.. Er entschied sich bei seinem Entschluss zu bleiben. „Kennst du den weg dorthin, Mädchen ?“ fragte er deshalb. „Den Weg wirst du schon selber finden müssen, aber ich gebe dir meine Laterne, damit du Licht hast, wenn es dunkel wird. Dafür musst du mir aber dein Schwert überlassen. Es könnte mir nützlich sein hier in der Wildnis der Berge, wo überall gefährliche Tiere lauern und Räuber sich verstecken.“ Djamu, dankbar für jede Unterstützung, reichte ihr das Schwert und sogleich verschwand sie mit ihren Ziegen hinter dem nächsten Felsen.
III.
Der junge Prinz begann den Aufstieg zum grossen Pass, der über die Berge führte. Schon reute es ihn, dass er dem Mädchen das Schwert überlassen hatte. Wie listig sie es angestellt hatte. All die Geschichten, die Sie ihm aufgetischt hatte, und was sollte er denn mit einer Laterne am hellichten Tag ? Die Sonne stieg höher am Zenit und es war schon fast Mittag als er auf der Passhöhe ankam. Ein schönes Haus stand dort oben am Wegesrand,und weil der Prinz grossen Hunger hatte klopfte er an die Tür. Eine kräftige Bäuerin öffnete ihm freundlich und bat ihn sogleich herein, um sich etwas von seiner Reise zu erholen. Neun kleine Kinder rannten durch die Stube, drei Mädchen und vier Knaben, und alle schriehen sie durch einander. Es schienen nicht allzu viele Besucher hier herauf zu kommen. Kleine bunte Vögel flogen zu den Fenstern herein und wieder heraus und zwitscherten dabei muntere Lieder. Blumen standen überall in den Fensternischen und silberne Grillen hatten sich auf ihnen niedergelassen. Überhaupt war der Raum erfüllt von Zirpen, Quacken, Kinderlachen und Vogelgezwitscher. Die Bäuerin setzte ihm eine grüne heisse Brühe vor. Als sie Djamus misstrauisches Gesicht sah, lachte sie laut heraus, stemmte ihre kräftigen Arme in die Hüften und sagte: „Iss nur, da ist die Hoffnung aller vergangener Jahrhunderte drin. Wer weiss, vielleicht wirst du sie noch brauchen!“ Dazu reicht sie ihm ein gutes Stück Brot und ein Glas Wein. Setzte sich zu ihm und ass mit. Kaum hatten sie aufgegessen, wollte Djamu auch schon wieder aufbrechen. Er erklärte der Bäuerin, dass er noch an diesem Tag das Land jenseits der Berge erreichen wollte. Abermals lachte die Bäuerin und sagte: „Weißt du nicht, dass schon neun Jahre vergangen sind, seit du aufgebrochen bist. Damals habe ich mein erstes Kind geboren und nun habe ich schon mein neuntes entwöhnt.
Ruh dich doch etwas aus und bleib eine Weile bei uns.“ Djamu war das nur recht, denn er war schon sehr müde.
So bezog er das Gastzimmer im Bauernhaus, das ihm das allerschönste schien. Als ein paar Tage vergangen waren, begann er sich zu wundern, weshalb der Bauer nie nach Hause kam und fragte die Bauernfrau nach seinem Verbleiben. Da brach diese in Tränen aus und deutete mit dem Kinn in die Richtung einer Bank hinter dem Ofen. Dort sass ein stattlicher Mann rührungslos und schien in Gedanken versunken. „Er wollte das Land in den Bergen auskundschaften, weil es ihm hier nicht mehr gefiel, und so haben sie ihn mir dann wieder gebracht.
„Er sieht friedlich aus“ meinte unserer tapferer Königsohn. Doch sie wante ein: „Ich weiss, aber wenn du ihn berührst, wirst du merken, dass er eisig kalt ist. Sein Herz ist gefroren wie die Wasser der Gletscher oben in den Bergen. Jeden Tag schleppe ich unter viel Mühen Holz herbei, um den Ofen einzuheizen und meinen Mann zu wärmen. Doch es reicht gerademal, um den Raum zu heizen. So sitz er nun schon seit Jahren,“ Mit einem tiefen Säufzer schloss die Bäuerin ihre Erklärung und wischte sich mit der Schürze die Tränen aus den Augen. Djamu aber wurde ganz nachdenklich.
IV.
Als Djamu nochmals neun Jahre bei der Bäuerin geblieben war, und ihre Kinder schon recht gross waren, nahm sie ihn eines Abends bei der Hand und zerrte ihn in die Vorratskammer. Leise flüsterte sie ihm ins Ohr: „Ich würde dich gerne bei mir behalten, du bist mir immer eine gute Hilfe gewesen. Aber ich weis, dass du deine Perle finden musst. Heute ist die Zeit, um weiter zu gehen. Lass mir doch dein Pferd da, damit es für mich die schweren Lasten tragen kann, ich will dir dafür etwas geben, dass dir nützlich sein wird auf deiner Suche.“Djamu zeigte sich einverstanden. Da drückte ihm die Bäuerin einen Krug in die Hand mit den Worten: „Darin ist feuriges Wasser. Trage sorge, dass du es nicht zur Unzeit verschüttest oder es überkocht“. Und wie sich zu seiner Linken die Sonne in letztem feurig roten Erglühen hinter einer schneebedeckten Bergkuppe in die Erde versenkte, um nach einer langen kalten Nacht auf der anderen Seite wieder auf zu tauchen, so stieg Djamu hinab ins Dunkel der Nacht. Es muss beschwerlich gewesen sein, mit einem Bein zu reisen, doch genaueres wird uns
darüber nicht berichtet. Jedenfalls kam er kurz vor Mitternacht in der Ebene unten an. Rings um ihn war kein Laut zu hören. Die Landschaft war schneebedeckt und wirkte sehr karg. Doch selbst, wenn es etwas zu sehen gegeben hätte, wäre es wohl kaum in der Dunkelheit dieser Schwarzmondnacht erkannt worden. Djamu setzte sich auf einen Stein und starrte verzweifelt vor sich auf die Erde. Nun war er schon so weit gekommen auf seiner
Suche. „War denn alles umsonst ?“ Die Berge hatte er hinter sich gelassen. Doch hier war nicht das erhoffte Reich, von dem all seine Träume und Sehnsüchte erfüllt waren. Dies war eine Eiswüste. Müde legte er sich hin.
Da träumte er von seiner Reise und wie alles begonnen hatte, als er das Hirtenmädchen getroffen hatte. Da erwachte er und begann sich zu erinnern, was das Mädchen zu ihm gesagt hatte. Schnell suche er die Laterne in seinem Gepäck. Er fand sie auch sogleich und zündete sie an. Kräftig leuchtete sie in die Schwärze der Nacht hinaus. Da sah Djamu in einiger Entfernung unter einer Zeder ein einsames, altes Weiblein sitzen. Er hinkte zu
ihr hinüber. Sie machte eine seltsame Gestalt, wie sie so da sass in eine Wolldecke gehüllt, die aus lauter bunter Quadrate und Rechtecke anscheinend planlos zusammengenäht worden war. Nur ihr sonnengegerbtes, runzeliges Gesicht schaute hervor, und sie murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Djamu grüsste sie etwas verstohle.
Sogleich hob sie ihren Kopf und lächelte ihn freundlich an. Dabei machte sie ein breites Gesicht, und man konnte ihre beiden letzen verbliebenen Zähne sehen. Sie deutete ihm, sich zu ihr zu setzen. Was er gerne tat.
Etwas Gesellschaft, bekäm hier in dieser Einöde jedem gut, dachte er bei sich, auch wenn es sich um eine verrückte Alte handelte. Es begann ihn zu frösteln. Da grinste die Alte: „Was tust du hier ?“ „Ich suche etwas,“ erwiderte er unbestimmt. Was ging sie das auch an. „Und um es zu finden, musst du frieren ?“, forschte sie weiter. „Was die für unsinnige Fragen stellt,“ dachte Djamu bei sich. Da fiel ihm ein, dass die Bäuerin ihm einen Krug feurigen Wasser mit gegeben hatte. Diese schüttete er nun auf die Erde und machte eine gemütliche warme
Glut für sich und das Weiblein. Aus dem Augenwinkelbeobachtete er dabei die Alte. Diese zwinkerte ihm zufrieden zu. Als die Glut so richtig heiss war, begann auf ein Mal, der ganze Schnee um sie herum zu schmelzen. Ja, und nicht nur um sie herum. Die ganze Ebene war auf einmal vom kalten Weiss befreit. Da erzählte Djamu der Alten die ganze Geschichte von Anfang an, und dass er nach dem wundersamen Land jenseits der Berge suche, wo seine verlorene Hälfte gefangen gehalten wurde. „Weshalb suchst du so weit und nuzt nicht die Mittel, die du hast ?“ Fragte sie ihn, nachdem sie aufmerksam zugehört hatte. „Ich habe nur noch dieses Wasser“, erwiderte er und stellte den Krug vor sich auf die Erde, „doch ich weiss nicht, was ich damit anfangen könnte.“ Plötzlich spritzte ein Funke aus der Glut der Feuerstelle und brannte Djamu an der Hand. Er war so erschrocken, dass er zusammen fuhr und über den Krug stolperte. Dabei schüttete er das ganze Wasser aus. Entsetzt blickte er auf den Schaden, den er angerichtet hatte. Am Himmel ballten sich grosse Wolkentürme zusammen und wie von Zauberhand begann es zu regnen. Das ganze Land sog das Wasser in sich auf, wie ein Dürstender, dem man zu trinken gibt. Auf einmal begann es überall zu Grünen und zu spriessen. Die Bäume wuchsen hoch bis in den Himmel, es roch von Honig, Heilkrätern und Jasmin. Wundersame Vögel zwitscherten die allerschönsten Melodien und in der Mitte entsprang ein goldener Fluss. Dies war das Land, nach dem Djamu so sehnsüchtig gesucht hatte.
V.
An der Quelle des Flusses aber war noch ein Flecken verblieben, der Zauber nicht zu schmelzen vermochte. Ein eiserner Turm erhob sich da, in welchem eine schöne Frau sass, mit langen schwarzen Haaren. Sie war ganz in goldenes Tuch gekleidet und trug eine Krone auf ihrem Haupt mit zwölf Zacken. Ihre Haut war aber aus Stein.In ihren fein gemeisselten Händen hielt sie den Kelch mit der Perle.
Das Herz des Prinzen schlug höher. So nah war er seinem Ziel nun gekommen. Er war überwältigt von all der Schönheit um ihn herum, und es erschien ihm nicht mehr wichtig, das Land einzunehmen. Wenn er nur an all diesen wundersamen Dingen teilhaben konnte. Gerne hätte er mit der schönen Königin gesprochen und ihr von seinen Träumen und Erlebnissen erzählt. Doch die schien nicht einmal zu atmen. Da wollte er den Turm mit seinem Schwert entzwei schlagen. Als er danach ihm greifen wollte, fiel er aber zu Boden. Er hatte das Gleichgewicht verloren. Das Schwert steckte nicht mehr an seinem Platz. Schliesslich hatte er es dem jungen Mädchen überlassen. Da besann er sich und wand sich zu der Alten: „Könntest nicht du mir etwas geben, womit ich die Königin wieder zum Leben erweckte und meine andere Hälfte zurückgewänne ?“ Die Alte grinste breit.
“Was könnte ich dir schon geben, mein Prinz, habe ich doch nichts als den Himmel über mir und die Erde unter mir. Aber wähle, was dir fehlt. Etwas Tau vom Himmel oder etwas Salz aus der Erde?“ als sie so gesprochen hatte, hielt sie ihm ihre beiden Hände entgegen, in der einen Tautropfen, in der anderen Salzkörner. “Überlass mir das Salz“, entschloss sich der Prinz schnell „ was soll ich dir dafür geben ?“ „Oh, der Preis ist hoch, sehr hoch“, meinte sie daraufhin „nicht geringer als das kostbarste, das du besitzt.“ Da besann Prinz wieder des Oeles, das sein Vater für ihn geschaffen hatte. Und er überliess es der Alten. Mit einer Hand voll Salz, einem leeren Krug, einer herunter gebrannten Laterne stellte er sich vor den eisigen Turm, ein halber Mann. Er setzte sich auf die Erde nieder und begann zu grübel. Was könnte er denn jetzt noch tun, unser armer Prinz? So nah war er seinem Ziel gekommen, er könnte das ganze Land beherrschen, doch dabei bliebe er immer nur ein halber Mann.
Er war kurz davor zu verzweifeln und begann leise zu weinen. Seine Tränen flossen zu der eisigen Säule, in der sein Ziel für immer verschlossen schien. Doch da, dort wo die Tränen hinquollen, begann das Eis zu schmelzen.
„Salz!“ dachte Djamu. Salz vermag Eis zu schmelzen. Schnell sträute er das Salz, das ihm das Weiblein gegeben hatte auf den Turm, die Tränen unserer Erde. Schon begann alles zu Wasser zu verfliessen. Mit nassen Haare blieb die schöne Herrscherin zurück, und sie lächelte, was sie noch um einiges schöner machte. Da reichte sie Djamu freudig den Kelch. Die Perle wurde wieder zu seiner linken Hälfte und vereinigte sich mit ihm.
„Möchtest du mit mir dieses Land regieren, mein Prinz?“ fragte Kir Al Med „Es ist so einsam hier.“ Freudig nahm Djamu sie bei der Hand und half ihr von ihrem kalten Trohn. Er trocknete ihre Haare und da begannen beide herzlich zu lachen.
Nach einer schönen lauen Sommernacht, schon am nächsten Tag, machten sie sich auf den Weg, den Vater des Prinzen, dessen Frauen und Kinder und alle, die in kargen Bergen gelebt hatten, zu hohlen um mit ihnen der fruchtbaren Eben jenseits der vertrauten Berge zu leben.
Und wenn du einmal ein starker, mutiger Mann geworden bist, kannst du dich auf den Weg machen und dieses Land besuchen. Wer weiss, vielleicht wirst du dort auch auf Djamu und Kir Al Med treffen.