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Samstag, 9. April 2011

Der schwarze Engel


Leire studiert im letzten Semester Literatur und Geschichte an der Universität von Salamanca. In wenigen Wochen ist ihre Abschlussprüfung und ihr Professor Dr. Catalyud hat sich grosszügiger Weise bereiterklärt an diesem Nachmittag bei einigen Recherchen zu helfen. Er wohnt in der alten Posada de las Almas, wo er ein Zimmer gemietet hat. Das ist praktisch für ihn, da er in einer viertel Stunde die Universität zu Fuss erreichen kann.
Leire‘s Thema sind „Engel und Engelgestalten“ in der Literatur des frühen Spanischen Mittelalter, eigentlich eher ein Thema für Liebhaber, das wohl kaum Beachtung bei zukünftigen akademischen Lesern finden wird. Dafür entsprechen die Resultate zu wenig den gegenwärtigen Vorurteilen zum Mittelalter und seiner Gedankenwelt. Doch Leire ist gefangen von dem Thema.
Es ist schon gegen neun Uhr abends, als Leire beschliesst aufzubrechen. Dr. Catalyud bietet ihr an, sie zu begleiten. Zwar lebt sie während des Semesters in der Nähe der Universität, bei ihrer Grossmutter und ist in einer halben Stunde zu Hause, aber draussen ist es schon dunkel in die Strassen Salamancas können Nachts ganz schön unheimlich sein, die Fresken, die seltamen Gestalten, die von den Dachrinnen hinunterblicken.
Nach kurzem zögern, willigt Leire ein. Sie packt ihre Bücher zusammen, Dr. Catalyud löscht die grosse Lampe und lässt nur eine kleine Brenne, für den Fall. Er glaubt, dass es Räuber davon abhält einzubrechen.
Draussen ist es Stock dunkel. Ein paar Strassenlaternen leuchten den Weg. Der Wind fegt Papierfetzen vor sich her.
Komm, gib mir Deine Bücher“, sagt Dr. Catalyud.
Leire ist froh, denn sie sind wirklich schwer.
Schweigsam gehen sie die Strasse hinunter. Da hört Leire etwas hinter sich. Sie dreht sich um, doch da ist niemand.
Plötzlich spürt sie etwas an ihrem Rücken. Dr. Catalyud geht nah neben ihr her. Dann streicht er ihr mit der Hand über die Schulter.
War er es? Er wird doch nicht versucht haben sie zu betatschen?“
Leire ist verwirrt. Es kommt ihr unsinnig vor. Nie hat ihr Professor irgendetwas versucht oder eine Situation ausgenutzt. Sie hat sich wohl geirrt.
Doch dann sprürt es genau, den Griff um ihren Po. Sie erschrickt und dreht sich heftig dem Professor zu. Doch der geht ganz ruhig neben ihr her. Im Arm, auf ihrer Seit hält er die Bücher. Er kann unmöglich mit dem anderen Arm zugegriffen haben ohne seine Position zu verändern.
Etwas später, schon wieder. Ein zischen, so als ob jemand hinter ihrem Rücken vorbeirannte.
Leire wird nervös und der Professor schaut zu ihr herüber. „Alles in Ordnung, Sie atmen so stark. Die jungen Leute heute sind wohl nicht mehr so ans zu Fuss gehen gewöhnt. Es tut mir leid, aber ich habe kein Auto.“
Leire lächelt zurück: „Nein, nein, ist schon gut. Ich habe nur etwas gehört.“
Dann sieht sie einen schwarzen Schatten. Sie erschrickt. Aber dann ist er auch schon weg. Noch einer und dann ein ganz helles Licht. Leire möchte schon zum Licht laufen, doch Dr. Catalyud hält sie zurück:
Nicht!“
Was ist das?“
Das sind Engel.“
Leire lacht: „Ja, sicher, Engel.“
Dr. Catalyud schaut sie ernsthaft an und nickt schweigsam.
Wie meinen Sie das, Engel?“
Hm, kommen Sie Leire. Lass Sie uns weiter gehen.“
Wieder hört Leire ein zischen. Doch dann sieht sie auf der anderen Strassenseite, die Frau, die die Strasse kehrt. Sie lächelt ihr zu und geht weiter.
Doch nun spürt einen eisigen Atem. Als sie sich umdreht, sieht sie nichts, nur das helle Licht.
Nicht.“ Wiederholt Dr. Catalyut.
Ein Katzensprung der Heimweg. Weshalb kommt er ihr heute nur so weit vor. Gerade als sie die „Cuesta del Carmen“ überqueren wollen, spürt sie einen Stoss von hinten und ein Licht das aufflackert, als ob es Blitzt. Sie schreit erschrocken auf. Nun ist auch Dr. Catalyud erschrocken. „Komen Sie!“ er nimmt sie bei der Hand und zieht in die „Cuesta del Carmen hinein“.
Hier müssen wir doch gar nicht lang! Diese Strasse ist ganz dunkel“ was der Professor nur vor hat? Leire wird es unheimlich. Vielleicht war ihr erster Verdacht gar nicht so falsch. Dr. Catalyud schaut in ihr verschlossenes Gesicht. Dann lacht er kläglich: „Was denken Sie denn? Kommen sie, das ist schon gut so. Machen Sie schnell. Gleich da vorne an der Ecke gehen wir links die Strasse hinunter. Direkt nach der „Casa de las Muertes“ kommt das „Pata Negra“. Das ist ein gutes Restaurant. Da kann ich Sie zum Abendessen einladen. Aber machen Sie schnell. Es ist nicht sicher hier.“
Nun gehen beide im Laufschritt. Dr. Catalyud hält sie immer noch an der Hand. Wie unheimlich an einem Haus mit dem Namen „Casa de las Muertes“, Haus der Tode, vorbeizugehen. Doch dann sieht sie auch schon die erleuchteten Fenster des „Pata Negra“.
Drinnen wird ihnen ein gemütlicher Tisch in der hintere Ecke des Restaurants angeboten.
Leire schliesst die Augen und atmet tief durch.
Ich bitte Sie um Entschuldigung. Ich glaube, ich schulde ihnen eine Erklärung, aber lassen Sie uns doch erst bestellen.“…
Und dann erzählt ihr der Professor eine Geschichte.
Hier, lange bevor Salamanca eine berühmte Universitätsstadt wurde, war schon eine ausgedehnte Dehesa, wie in Spanien die Hutewälder genannt werden. Doch früher gab es hier noch viel mehr Bäume. In den Bäumen lebten Engel. Ursprünglich waren sie alle weiss, nicht wie Gespenster im Fernsehen, mit Leintuch umwickelt. Eher wie ein helles Licht ein Blitz.
Die Menschen, die hier lebten, liebten die Engel, denn sie strahteln ihnen den Weg in der Nacht und schützten das Vieh vor wilden Tieren und Räubern. Auch waren sie schön anzusehen.
Eines Tages, machte sich einer der Dorfbewohner auf, um sein Vieh zu kontrolieren. Als er seinen Besten Stier in einem halb ausgetrockneten Flussbett, halb im Schlamm steckend sah. Er versuchte dem Tier zu helfen, doch der Stier wehrte sich nur noch mehr und schlug den Mann, so dass er ohnmächtig wurde. Da kam einer der Engel um ihm zu helfen. Die anderen Engel standen darum herum und schienen es nicht gut zu finden. Sie wollten den Engel davon abhalten.
Doch der hörte nicht auf sie. Er stand nun selbst bis zur Hüfte im Schmutzwasser und mit seiner übermenschlichen Kraft half er dem Stier aus dem Wasser. Das Tier war überglücklich und sprang munter und gesund davon. Doch der Engel war von Kopf bis Fuss mit Schmutz bedeckt, so dass er eher wie ein Scatten, als wie ein Licht aussah.
Als der Mann wieder zu sich kam, sah er gerade noch, wie einige der Lichtgestalten davonschwebten und ihm zuwinkenten. Natürlich erzählte er die Geschichte überall im Dorf, woraufhin die Menschen anfingen die Engel richtiggehend zu verehren. Das gefiel den Engeln sehr und motivierte den einen oder anderen es dem ersten gleichzutun, woraufhin sie für immer Schmutzig wurden und wie dunkle, schwarze Schatten durch die Welt gingen und wirkten im Stillen. Von da an gab es dunkle und helle Engel.
Die Menschen bemerkten diese Veränderung und fingen an sich zu beunruhigen. Was es wohl mit den dunkeln Engeln auf sich hatte? Keiner hatte bisher die Veränderung mitangesehen. Die hellen Engel hatten Angst, dass wenn die Menschen, die Wahrheit erfahren würden, dass sie dann von ihnen allen erwarten würden es den dunkeln Engel gleichzutun. Und wer würde dann noch schön sein und strahlen. Daher verbreiteten sie das Gerücht, dass die Dunkel Engel das Unheil bringen, das die hellen Engel dann wiederum aus der Welt schaffen würden. Da fingen die Menschen an die Dunkeln Engel zu hassen und zu verfolgen. Da sie wussten, dass die Engel in den Bäumen leben, schnitten sie die meisten der Bäume ab, damit immer viel Platz zwischen ihnen war und man gut die Dunkeln Engel erkennen konnte. So machten sich die dunkel Engel langsam auf, die Gegend zu verlassen und versteckten sich in den dunkeln Wäldern des Nordens.
Von da an mussten Menschen anfangen sich selber zu helfen, sich selbst überlassen.
Das was Du dort draussen gesehen hast, waren die letzten dunkeln Engel, die nachts die Menschen noch vor dem Unheil bewahren. Doch die hellen Engel versuchen sie davor abzuhalten.“
Weshalb haben Sie mir das nicht früher gesagt? Das ist doch interessant für meine Arbeit?“ „Gute Frau, sie wollten doch eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Ich habe Ihnen nur eine Geschichte erzählt.“