Dialog in fünf Akten
Personen:
Sophia
Polemos
Sprecher
Szene:
En
Ort jenseits von Raum und Zeit.
Sophias Sturz
Sophia
tanzt und schwingt sich, zur Musik dreht sie ihre Bahnen. Da stolpert
sie über Polemos.
Sophia:
Au, was tun Sie hier?
Polemos:
Und Sie?
Sophia:
Ich tanze.
Polemos:
Das ist kein Tun, das ist ein Sein.
Sophia:
Warum sollte ich etwas tun?
Polemos:
Sehen Sie nicht, die Menschen leiden!
Sophia:
Tun sie das oder sind sie das?
Polemos:
Was meinen Sie?
Sophia:
Tun die Menschen leiden oder sind die Menschen Leid?
Polemos:
Ich verstehe Sie nicht.
Sophia:
Dann geben Sie mir ein Beispiel.
Polemos:
Ich war soeben in Zürich, am 9. September 1848. Da haben sich Brüder
gegenseitig auf den Kopf gehauen und sich kaputt gemacht.
Sophia:
Ja und, das tun die Menschen doch ständig?
Polemos:
Ja, aber dann haben sie sich an den Tisch gesetzt und wieder
vertragen.
Sophia:
Das ist doch schön. Wo liegt das Problem?
Polemos:
Das ging gerade mal noch gut. In Paris war das viel schlimmer. Die
Hälfte Europas ist noch halb verrückt von der Erinnerung. Wenn sie
nicht verstehen lernen, wie sich in Grenzen halten, dann werden sie
sich eines Tages selbst zerstören.
Sophia:
Na und? Etwas Neues wird dann erschaffen.
Polemos:
Sophia!!!
Sophia:
Ich verstehe Ihr Entsetzen nicht. Würden sie sich nicht streiten,
dann würden sie aufhören zu sein. Was ziehen Sie vor, nicht geboren
zu werden oder nicht zu vergehen.
Polemos:
zu sein!
Sophia:
So wie ein Klang ohne Körper?
Polemos:
Wie meinen Sie das?
Sophia:
Energie ist, ewig, unvergänglich, un-geschaffen. Doch was die
Menschen lieben ist die Masse, die Energie die durch den Widerstand
ein „etwas“ wird. Doch die Masse ist begrenzt, sie fliesst nicht
einfach. Sie hat Widerstand und stösst an. Menschen können nicht
einfach „sein“. Sie können nur Mensch sein. Das „Sein-an-sichi“
ist nichts Spezifisches, es ist „ein Nichts“. Sehen Sie diesen
Fluss? Er ist nicht ein Fluss, weil er Wasser führt. Sondern weil er
durch ein Ufer begrenzt wird. Ohne Ufer wäre er kein Fluss, im
besten Fall Wasser. Wenn in den Grenzen des Ufers aber kein Wasser
fliesst, dann sprechen wir immer noch von einem Flussbett und einem
ausgetrockneten Fluss. Dies tun wir, weil wir wissen, dass es ein
Fluss war, der das Bett gebildet hat. Die Masse des Wassers, die sich
durch die Masse der Landschaft hindurch kämpfte hat die Furche
entstehen lassen, die nun die Erinnerung an sie ist. Wäre das Wasser
über die Landschaft hinweggeflossen, ohne Reibung, dann würden wir
uns nicht daran erinnern, dann gäbe es keinen Fluss und hätte ihn
nie gegeben.
Polemos:
Aber die Schweizer?
Sophia:
Die sind doch wie ein Flussbett, ausgetrocknet, über welches der
Wind hinwegfegt und die Furchen glättet. Bald wird sich auch niemand
mehr an sie erinnern.
Polemos:
Aber sie haben Grosses vollbracht.
Sophia:
Grosses?
Polemos:
Ja, den Frieden! Ein friedlicher Zusammenschluss von ganz
unterschiedlichen Ideen, die Pluralität, die Neutralität, die
Vernunft über die Leidenschaft.
Sophia:
Polemos, bitte, lassen Sie mich wieder tanzen!
Mit
diesem Ausspruch der Empörung wendet sich Sophia ab und dreht weiter
ihre Runden.
Die Vernunft
Polemos
stürzt in den Raum und wirft die tanzende Sophia um. Diese schreit
laut auf. Dieses Mal hat sie sich ernsthaft verletzt und muss sich
hinsetzten. Der Knöchel ist verstaucht.
Sophia:
Müssen Sie so stürmen? Sehen Sie was Sie angerichtet haben? Was
gibt es denn so dringliches?
Polemos:
Die Menschen.
Sophia:
Die schon wieder! Gibt es den nichts anderes in derii
Schöpfung, um das Sie sich sorgen können?
Polemos:
Ja, aber die Menschen sind etwas Besonderes.
Sophia.
Ah.
(Sophia
haucht dieses „Ah“ pathetisch vor sich her und rollt ihre Augen.)
Polemos:
Seien Sie nicht so gleichgültig. Die Menschen sind einzigartige.
Sophia
runzelt nachdenklich die Stirn.
Sophia:
Nun gut, mit diesem Fuss kann ich ohnehin eine Weile nicht tanzen.
Setzen wir uns. Was macht die Menschen Ihrer Meinung nach so
einzigartig?
Polemos:
Sie sind ethische, sie erkennen Gut und Böse.
Sophia:
Ja, diesen Unsinn verdanken sie ja Ihnen. Ich habe sie ja gewarnt,
wenn sie von dieser Frucht ässen, verlören sie das ewige Lebeniii.
Polemos
lacht laut auf.
Polemos:
Ha, sehen Sie, es ist nicht meine Schuld. Hätten die Menschen nicht
gewusst, dass es verboten ist, dann wären sie auch nie in Versuchung
gerateniv.
Sophia:
Welche Schuld? Ich habe nie etwas verboten. Ich habe ihnen lediglich
die Erkenntnis gegeben, dass die Unterscheidung von Gut und Böse die
Ewigkeit unerreichbar werden lässt. Ich habe ihnen meine Weisheit
gezeigt, doch sie konnten nichts damit anfangen. Die Gesetze habe ich
nicht erlassen, sie sind Ewig. Ich bin das ewige Gesetz.
Polemos:
Sie meinen, wenn die Menschen sich ihrer selbst bewusst werden, wenn
sie ihren Willen erkennen, dann können Sie das Gute wollen? Dann
werden sie das Gute wollen?
Sophia:
Polemos, setzten Sie sich bitte. Ich glaube wir reden aneinander
vorbei.
Polemos:
Das tun wir doch fast immer.
Sophia
seufzt und reibt ihren verstauchten Knöchel.
Sophia:
Ja, fast immer. Sehen Sie, ich muss ihnen Recht geben. Die Menschen
sind einzigartig. Nur sie glauben, dass es einen Unterschied gibt
zwischen Gut und Böse. Es ist nicht ihre besondere Gestalt oder ihre
besondere Fähigkeit, die sie auszeichnet. Es ist ihr besonderes
Problem, die Welt nicht zu sehen wie sie ist, sondern sie in
Kategorien zu denken.
Sophia:
Nein. Aber ist das relevant für die Frage?
Polemos:
Sie meinen also, weil die Menschen Gut und Böse unterscheiden
können, wird das Böse für sie zum Problem.
Sohpia:
Genau.
Polemos:
Dann müssten wir ihnen nur erklären, dass Gut und Böse gar nicht
existieren. Das alles eine Einbildung istvi.
Sophia:
Sie wollen den Menschen das Denken ausreden? Gut und Böse sind doch
real. Sie haben sich ja über die Schlachtaktionen viriler, junger
Männer empört. Ich trinke ihr Blut.
Polemos:
Sophia, bitte, verschonen Sie mich mit Ihrer stinkenden Archaik. Das
tut in meinen Ohren weh.
Sophia:
Entschuldigen Sie. Ich bin der Ursprung.
Polemos:
Ich weiss, doch können wir das mal bei Seite lassen und uns
zivilisiert unterhalten?
Sophia:
Zivilisiert?
(Sie
lacht in sich hinein und faltet ihre Stirn dabei.)
Was
meinen Sie denn mit zivilisiert?
Sophia:
So, so. Was ist denn gut für die Menschen? Ewig zu leben? Ohne
Schmerz, ohne Störung? In Frieden so wie ich?
Polemos:
Ja! (Sein Gesicht erhellt sich.)
Sophia:
Dann müssten sie aufhören Menschen zu sein, aufgeben zu leben. Das
Leben ist in der Weltviii.
Die Welt ist der Frieden. Die Welt ist das Leben. Ich lebe nicht, ich
bin nur.
Polemos:
Dann ist es das Leben, das die Menschen einzigartig macht? Und der
Friede, das Streben nach dem Guten, das sie von anderen
unterscheidet?
Sophia:
Sie unterscheiden sich von uns durch das leben. Denn nur wer stirbt,
lebt. Wir sterben ja nicht. Es unterscheidet sie nicht von anderem
in der Welt.
Polemos:
Und der Friede?
Sophia:
Frieden ist nicht streben nach dem Guten. Erinnern Sie sich? Als die
Menschen anfingen die Welt zu benennenix,
da suchten sie nach der Unterscheidung von Gut und Böse. Sie
begnügten sich nicht damit, mit der Welt in Beziehung zu treten, die
Dinge zu benennen. Sie wollten sie unter ihre Kontrolle bringen,
gerade so, als wären die Menschen nicht in der Welt, so als könnten
sie sich von ihr lösen und sie von aussen betrachten. Erst als sie
nicht mehr in der Welt waren, konnten sie die Welt als das Andere
ansehen. Sie waren nun nicht mehr in der Welt, sondern gelöst von
ihr. Dann fingen sie an die Namen zu ordnen und ihre Wesen in
unveränderliche Grenzen zu setzt, zu de-finieren. Sie fingen an, den
Raum und die Zeit zu unterscheiden, alles zu zerstückeln und die
Teile zu zählen, sie zu vergleiche und in gleiche und ungleiche zu
sortieren. Das ist kategorisches Denken. Nur ein Wesen, das sich
selbst entfremdet, das sich selbst von der Welt löst kann dies tun.
Polemos
setzt sich auf und brüstet sich.
Polemos:
Das verdanken sie mir! Ich habe ihnen gezeigt, wie sie die Welt
beherrschen können, wie sie werden können wie Sie.
Sophia:
Werden wie ich? Sie sind ja schon ich, nur wissen sie das nicht.
Warum haben sie das getan?
Polemos
schaut Sophia verstört an.
Polemos:
Ich wollte sein wie sie. So sanft und sorglos vor mich hin tanzen.
Sophia:
Das tun Sie doch schon.
Polemos:
Aber ich stosse ja immer mit Ihnen zusammen.
Sophia:
Oder ich mit Ihnen?
Polemos:
So habe ich das noch nie gesehen.
Sophia:
Verstehen Sie nun, warum die Menschen im Streit leben? Der Streit ist
ihre Vernunft.
Polemos:
Aber die Vernunft ist doch gut. Sie ermöglicht es Dinge
vorherzusehen und das Böse zu meiden. Die Vernunft gibt den Menschen
die Möglichkeit in Frieden zu leben.
Polemos:
Ich meine, dadurch können sie vielleicht verhindern sich gegenseitig
zu zerstören.
Sophia:
Sich zu zerstören?
Polemos:
Zu vernichten.
Sophia:
Vernichten, von nicht sein?
Polemos:
Genau.
Sophia:
Es gibt kein „nicht sein“, alles ist immer.
Polemos:
Ich meine, nicht mehr Mensch sein, das es irgendwann keine Menschen
mehr gibt, keine Vögel, keine Bäume, keine Flüsse.
Sophia:
Das wollen sie mit der Vernunft verhindern? Es liegt doch in der
Natur des Mensch-seins, das es endlich ist, nicht ewig. Das So-sein
ist immer begrenzt, einzigartig und nichtig. Wir wissen doch beide,
dass die Menschheit ein Ende nehmen wird. Und wir wissen auch wann.
Polemos:
Sophia, sehen Sie denn nicht, wie sehr die Menschen leiden? Sie
fürchten sich vor ihrem Ende.
Sophia:
Ich habe sie ja gewarnt!
Polemos:
Wollen Sie die Menschheit einfach so ihrem Untergang überlassen?
Sophia:
Nicht einfach so, ihr Ende ist in ihrem Anfang inbegriffen. Es gibt
keinen Anfangen ohne ein zu-Ende-gehen. Und Menschsein ist endlich.
Welchen Unterschied macht es denn für die Menschen am Ende ihres
Lebens zu sterben oder gemeinsam mit der ganzen Menschheit zu
vergehen? Wenn sie doch so vernünftig sind, dann wissen sie ja
schon, dass diese Welt ein Ende hat.
Polemos:
Ja, aber in einem so grossdimensionierten Zeitraum, dass es für die
Menschen nicht relevant ist.
Sophia:
Was ist denn für die Menschen relevant?
Polemos:
Sie wollen glauben, dass ihr Leben einen Sinn hat und dass etwas
zurückbleibt, wenn sie sterben.
Sophia:
Was ist das denn für ein Blödsinn! Natürlich bleibt etwas zurück.
Wir haben uns doch geeinigt, dass Energie und Masse ineinander
übergehen, sie können nicht zerstört werden.
Polemos:
Ja, aber sie wollen, das etwas von ihnen zurückbleibt, etwas, das
Sinn macht.
Sophia:
Mache ich keinen Sinn?
Sophia
erhebt sich verärgert. Ihrem Fuss geht es anscheinend besser.
Polemos:
Ja aber die Menschen wollen…
Sophia
unterbricht
Polemos:
Die Menschen wollen sehr oft, wie mir scheint.
Mit
diesen Worten dreht sie sich um und tänzelt weiter ihre Runden. Auch
Polemos tänzelt.
Sinn
Eine
Weile kreuzen sich Sophia und Polemos nicht mehr. Dann, plötzlich
stossen sie bei einer Rückwärtsdrehung aneinander.
Sophia
und Polemos gleichzeitig: Aua!
Sophia:
Jetzt, bin ich in Sie hineingerannt.
Polemos:
Wenn Sie meinen. Ich präferiere es zu glauben, dass ich Sie um
gestossen habe.
Sophia
lächelt.
Sophia:
Immer noch in Sorge um die Menschen?
Polemos:
Haben wir uns geeinigt, dass die Menschen einzigartig sind weil sie
ethische Vernunft haben?
Sophia:
ethische Vernunft? Wie Sie die Abstraktion lieben! Nein. Das macht
sie nicht einzigartig.
Polemos:
Dann ist es ihr Leid, das sie einzigartig macht?
Sophia:
Ist es das?
Polemos:
Die Menschen sind doch die einzigen Wesen, die versuchen die Welt in
Kategorien aufzuteilen, um Zusammenhänge zu verstehen und ihre
Auswirkungen in der Zukunft vorauszusehen, um das Gute herbeizuführen
und das Böse zu vermeiden.
Sophia:
Polemos, Sie sind zu schnell. Auch wenn andere Wesen Kategorien
bilden könnten – ein Punkt, der hier nicht zur Diskussion steht –
so sind die Menschen die einzigen, die diese Kategorien nutzen, um
die Welt in eine gute und eine schlechte aufzuteilen. Sie leiden
dadurch weniger im Augenblick, weil sie ihr Leid in einen grösseren
Zusammenhang stellen können. Aber sie leiden mehr, weil sie um den
Verlust ihrer Unsterblichkeit trauern. Menschsein ist zutiefst
sterblich sein. Inwiefern die Fähigkeit Ereignisse vorauszusagen
dieses Leid mindern soll, ist mir nicht klar.
Polemos:
Nun, wenn die Menschen wissen was gut ist, können sie das Böse
vermeiden.
Sophia:
Wie denn das? Was ist denn das Böse?
Polemos:
Der Tod.
Sophia:
Wie kann die Vernunft denn den Tod vermeiden?
Polemos:
Indem er dem Leben einen transzendentalen Sinn gibt.
Sophia:
Transzendental? Haben Sie denn keine richtige Sprache?
Polemos:
Nun, einen Sinn, der etwas von dem Menschen zurücklässt, wenn er
stirbt. Ein Sinn, der das Ewige im Menschen durchscheinen lässt.
Sophia:
Da ist nichts Ewiges im Menschsein. Das Ewige, das da durchscheinen
könnte ist nicht menschlich.
Polemos:
Ja, aber der Mensch möchte eine Bedeutung haben.
Sophia:
Alles geschaffene hat eine Bedeutung, es drückt sich durch sein
geschaffen sein aus.
Polemos:
Der Mensch möchte aber eine Bedeutung über sich hinaus haben, nicht
verloren gehen.
Sophia:
Alles was gefunden wird, wird auch wieder verloren gehen.
Polemos:
Nein!!! (Polemos schreit entsetzt auf.)
Der Mensch muss doch eine Verbindung zum Ewigen herstellen.
Sophia:
Und das will er erreichen, indem er diese Verbindung zuerst trennt?
Polemos:
Er muss das Gute erkennen können, um das Gute erreichen zu können.
Sophia:
Und das Gute für den Menschen ist…?
Polemos:
Das ewige Leben.
Sophia:
Aber Menschensein ist nicht ewig.
Polemos:
Daher möchte sich der Mensch in einen ewigen Rahmen einfügen, sich
als Teil eines unendlichen Ganzen verstehen.
Sophia:
Die Unendlichkeit hat keine Teile. Das Ganze ist ganz, weil es
ungeteilt ist.
Polemos:
Das ist einleuchtend. Doch der Mensch fürchtet sich davor zu
vergehen.
Sophia:
Fürchtet er sich auch davor geboren zu seinxi?
Fürchtet er sich nicht gleichermassen vor dem Leben wie vor dem Tod?
Polemos:
Ich denke schon.
Sophia:
Wozu nützt ihm denn die Vernunft?
Polemos:
Er kann seinen Tod voraussehen und seine Zeit richtig einteilen, sein
Leben planen und das Gute schaffen.
Sophia
lackiert sich die Nägel, sichtlich gelangweilt, und träumt vor sich
hin.
Sophia:
Wie kann der Mensch durch die Vernunft seinen Tod voraussehen?
Polemos:
Nicht den genauen Zeitpunkt, aber er kann sich darauf einstellen,
dass er sterben wird und so bedenken seinem Leben einen Sinn zu
geben.
Sophia:
Ich verstehe Sie nicht. Sagten Sie nicht, dass der Mensch leidet,
weil er weiss, dass er sterben wird. Wie soll dieses Wissen ihn nun
gleichzeitig trösten? Der Mensch ist sinnvoll, wie alles. Weshalb
soll er sich dann noch einen Sinn geben?
Polemos:
Durch den Sinn versucht der Mensch sich mit Ihnen in Verbindung zu
setzen.
Sophia:
Ha, da haben Sie es. Die Menschen sind immer mit mir verbunden. Durch
mich sind sie mit allem verbunden. Es ist ihre Vernunft, die sie
glauben lässt, dass sie nicht in diesem All sind, das sie ausserhalb
stehen.
Polemos:
Dann denken Sie, es ist gleichgültig, was die Menschen tun? Sie
werden ohnehin sterben, ihre Welt wird ohnehin zerstört werden und
sie werden aufhören zu sein.
Sophia:
Sie werden sterben, ihre Welt wird vergehen aber sie werden nicht
aufhören zu sein. Sie werden aufhören Menschen zu sein. Dann werden
sie sein wie ich. Es ist nicht gleichgültig, was sie tun. Sie sind
ihr Tun. Ihr Tun drückt ihr Menschsein aus. Ihre unermüdliche Suche
nach Einzigartigkeit, nach Unterschiedenheit von der Welt, ihr Streit
mit mir, der sie als Menschen Menschen werden lässt und einzigartig
macht. Sie und nur sie, stellen mich in Frage. Sie und nur sie geben
mir Namen. Durch sie kann ich sterblich sein, kann ich ein „etwas“
sein, in der Welt sein.
Sophias
Augen fangen bei diesen Worten an zu glänzen.
Polemos:
Sie lieben die Menschen! (Er ist ganz
überrascht.)
Sophia:
Lieben? Können wir dieses Thema bei Seite lassen?
Polemos:
Gut. Sie meinen also, dass es die Trennung von Ihnen ist, die die
Menschen auszeichnet. Diese Trennung ist durch die Vernunft
entstanden? Und nun leidet der Mensch an dieser Trennung, an seiner
Endlichkeit und versucht sich wieder mit Ihnen zu verbinden, um
Unsterblich zu sein?
Sophia:
Die Menschen verstehen nicht, dass Sinn nur im Endlichen liegt.
Polemos:
Hm. Aber mir ist immer noch nicht klar, wie die Menschen wissen
können, was richtig oder falsch ist.
Sophia:
Nicht das Richtige oder das Falsche tun gibt den Menschen ihren Sinn,
sondern das tun der Menschen ist es, was richtig und falsch
unterscheidet, ihre Vernunft.
Mit
diesen Worten entschwindet Sophia und lässt Polemos allein. Der
dreht sich auf der Stelle im Kreis.
Verantwortung
Polemos
dreht sich immer noch im Kreis, da taucht Sophia am Horizont auf.
Polemos möchte entweichen, doch stösst unweigerlich mit Sophia
zusammen. Sophia lacht auf und fällt hin.
Sophia:
Wir können unseren Lauf nicht ändern. Es ist ein ewiges fliessen,
schon vergessen?
Polemos:
Wäre es nicht gut, solch einen Aufprall zu vermeiden? Es tut doch
weh.
Sophia:
Und sehen Sie, was daraus entstanden ist!
Mit
ihrem Zeigefinger deutet Sophia auf die Tiefsee im Indischen Ozean.
Polemos
nickt: Ich verstehe. Trotzdem, eben dies war die Ursache des
Streites, den ich da in Zürich vernahm, das die Menschen mit ihren
Ideen aufeinander prallten. Wäre es nicht für die Menschen gut
gewesen eine klare, objektive Antwort zu haben, um ihren Streit zu
schlichten?
Sophia:
Wäre es besser, wenn das All eine flache Scheibe wäre anstatt einer
Kugelxii?
Parallele Kreise auf einer Scheibe überschneiden sich nie. Wir
hingegen stossen ständig aneinander. Der zweidimensionale Kreis
erschafft nichts und zerstört nichts. Da ist nichts das istxiii.
Nur fliessen. Würden Sie dies bevorzugen?
Polemos:
Natürlich nicht! (Er schaut Sophia an,
als sei sie ein dummes Kind.) Aber wenn
das All ein Punkt wäre von dem alles ausgehtxiv?
Sophia:
Dann würde es nie wieder zurückkehren. Dann gäbe es keine Welt,
nur viele Wesen die da hinausgeschickt werde und verloren gehen.
Polemos:
Aber eine Regel, ein Gesetz würde es doch einfach machen den Streit
zu schlichten.
Sophia:
Es gibt ja ein Gesetz! Ich bin das Gesetz. Alles was geboren wird,
wird sterben.
Polemos:
Aber wie sollen die Menschen handeln?
Sophia:
Menschlich?
Polemos:
Was heisst menschlich?
Sophia:
Sie haben es doch vorher lang und breit erklärt; vernünftig und
ethisch, das Gute suchend.
Polemos:
Aber sie sagten doch, dass es das Gute nur gibt, weil die Menschen es
unterscheiden.
Sophia:
Eben.
Polemos:
Aber sie unterscheiden es eben nicht auf dieselbe Weise.
Sophia:
Sicher nicht? Wie war was das bei Ihren Zürchern?
Polemos:
Sie suchten die Freiheit als höchstes Gut. Doch frühere Versuche
der Franzosen, die Freiheit zu finden endete in Knechtschaftxv.
Das hat sie erschüttert. Daher zweifelten sie an diesen Ideen und
suchten andere Möglichkeiten.
Sophia:
Freiheit! Ich dachte sie wollten Frieden?
Sophia
ist ganz verschwitzt vom Tanzen und setzt sich hin.
Freiheit
Polemos:
Die Menschen wolle nach eigenen Regeln leben, nicht von
Naturgesetzen, Göttern oder Menschen versklavt werden.
Sophia:
Aha. (Sophia schaut nachdenklich vor
sich hin.)
Polemos:
Ihre Vernunft macht sie frei. Dadurch erkennen sie ihre
Einzigartigkeit und können sich von der Welt unterscheiden.
Sophia:
Das ist richtig. Aber sie können nicht die Freiheit und den Frieden
wollen. Der Friede ist in der Welt, die Freiheit ist aus der Welt
heraus.
Polemos:
Dann bleibt den Menschen nur der Krieg?
Sophia:
Bekriegen wir uns denn?
Polemos:
Nun, wir stossen ständig zusammen.
Sophia:
Aber dies gibt uns auch einen Augenblick um innezuhalten und müssige
Gespräche über Menschen zu führen.
Polemos:
Das ist richtig. Ohne Zusammenprall würden wir ewig in Parallelen
kreisen und uns niemals treffen. Nichts würde daraus entstehen,
keine Zeit, kein Raum, kein All.
Sophia:
Weshalb soll dies bei den Menschen anders sein. Schliesslich, kommen
sie aus uns heraus.
Polemos:
Sie meinen, die Vernunft macht die Menschen frei von der Welt? Ihr
freies handeln erschafft den Sinn, das Gute und das Böse. Dann,
durch ihr Zusammenstossen mit anderen Menschen, werden sie bewegt
innezuhalten und sich eine Antwort zu geben. So macht die Freiheit
sie schliesslich ver-antwortlich?
Sophia:
Ja, genau.
Polemos:
Dann ist Leiden Teil ihres Menschseins?
Sophia:
Sie können das Leiden nicht verhindern. Aber ihr Leid nötigt sie
eine Antwort zu geben, an die Verursacher ihres Leides, an die Opfer
ihres Leides, an sich selbst und an uns. Durch die Antwort auf das
Leid treten sie in Kontakt mit uns und geben uns ein Gesicht.
Polemos:
Dann müssten wir ja beinahe den Menschen dankbar sein.
Sophia:
Das sind wir doch.
Polemos:
Doch, wenn sie nun vergehen, ihre Welt untergeht?
Mit
diesen Worten steht Sophia auf, verbeugt sich vor Polemos und schwebt
tänzelnd davon ins Jenseits.
i
Hmm. Eine kleine Kritik an Heidegger?
ii
Ursprünglich schrieb ich „unserer“ Schöpfung, was
fälschlicherweise insinuiert, dass Sophia und Polemos willentlich
die Schöpfung hervorbringen.
iii
Eine kleine Alliteration des Sündenfalls.
iv
Das spielt natürlich auf den judeo-christlichen Mythos de
Sündenfalls an.
v
Sophia denkt durchaus, dass auch andere Wesen das potenzial für
kategorisches Denken haben, dies aber nicht tun, da sie keine
Veranlassung dazu finden. Warum die Menschen diese Mittel nutzen,
lässt Sophia offen.
vi
So wie in einigen Buddhistischen Schulen
vii
Ganz Platon ganz Aristoteles!
viii
Das spielt an die Semantik im Russischen an wo Welt und Friede
dasselbe Wort sind. Diese Idee wird auch von Laín Entralgo’s
Theoría del Otro“ aufgenommen
ix
Siehe Genesis 2:19, die Bibel.
x
D.h. in der Welt.
xi
Emanuel Levinas geht davon aus.
xii
Kugel ist hier symbolisch gemeint und spielt auf die graphische
Darstellung der ineinander kreisenden Orbita von theoretischen
Darstellungen in der Quantenphysik an. Siehe Titelbild. Es ist keine
realistische Aussage über die Form des ewigen Prozesses, der ja
formlos sein muss.
xiii
Wie in der Philosophie von Parmenides.
xiv
Eine andere Form des nominalen Monadismus
xv
Das spielt auf die Jakobiner nach der geglückten Französischen
Revolution an.
xvi
Ursprünglich schrieb ich „dann erschaffen wir sie neu“, das ist
aber in konsequent Nominalistischer lesart unsinnig, da es hier kein
bewusstes, gezieltes Handeln von Polemos und Sophia gibt und nichts
zweimal erschaffen wird.